Der Erzberg

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Wir tendieren dazu, das Naheliegende nicht zu sehen. Aber stellen Sie sich vor, es gäbe in Ihrer unmittelbaren Nähe etwas Leuchtendes. Etwas, das alles verändert hat. Etwas Einzigartiges. Hier wird die Geschichte eines Berges erzählt, der die Welt geprägt hat wie kein anderer. Die Geschichte vom Ewigen Berg.

Schlau sind die Menschen dieser Region. Als sie einst, vor über 1.000 Jahren, einen Wassermann eingefangen hatten, machte der, da er nicht in Gefangenschaft leben wollte, einen Vorschlag, um wieder frei zu kommen: Er bot an, ihnen Gold für ein Jahr, Silber für hundert Jahre oder Eisen „für immerdar“ zu geben. Da überlegten sie nicht lange: Sie entschieden sich für das ewige Eisen. Und schwupp, war er da, vor ihren Augen: der Erzberg. So erzählt es die Legende. Tatsächlich aber dürfte der Eisenabbau in der Region nicht erst im Jahre 712 – wie die Sage meint – begonnen haben, sondern schon viel länger vorher. Bereits die Kelten bauten hier Eisen ab und die Römer waren nicht zuletzt deshalb an der Region „Noricum“ (vom römischen Wort für Eisen) interessiert, weil sie eben dieses Eisen im ganzen Reich für Sensen und Waffen brauchten. Übrigens: Selbst in Südamerika fand man bei Ausgrabungen Produkte aus dem Erz des Erzberges, die die frühen spanischen Eroberer mitgebracht hatten. Das hat seinen guten Grund: Das Erz des Erzbergs, das sogenannte Siderit, ist in seiner Qualität unschlagbar. Der Berg ist die größte Siderit-Lagerstätte der Welt. Noch heute werden davon drei Millionen Tonnen jährlich abgebaut und zu Hightech-Produkten verarbeitet. Die Steiermark als Hightech-Land, als hochmoderner Industriestandort, sowie ihre international geachteten Ausbildungsstätten, wie die TU in Graz, die Montanuniversität in Leoben oder auch zahlreiche Fachhochschulen und Lehrwerkstätten, wären ohne den Berg nicht denkbar. Die Industriegeschichte der grünen Mark ist so eng mit dem roten Berg verbunden wie sonst kaum wo auf der Welt. Firmen wie AT&S oder die VOEST und viele andere, teils hoch spezialisierte Weltmarktführer tragen den Ruf der Region weit über ihre Grenzen hinaus. Und dass erst kürzlich im benachbarten Kapfenberg das modernste Stahlwerk der Welt eröffnet wurde, ist alles andere als ein Zufall.

Der freundliche Berg

Doch der Berg bietet heute noch viel, viel mehr: Für Familien, für Kinder, für Interessierte ist er ein riesiges, lebendiges, farbenfrohes Schautagbergwerk: Sie können mit dem größten Taxi der Welt, dem 1.217 PS starken „Hauly“, den Berg erklimmen, einer echten Sprengung zuschauen, bei der viele Tonnen Material aus seinen Stufen gesprengt werden, sie können die Aussicht genießen, die man vom Berg aus hat; die zahlreichen Maschinen, die manchmal wie stählerne Dinosaurier, manchmal wie riesiges, futuristisch anmutendes Spielzeug aussehen, besichtigen. Und sie können erzählen von einem Berg, der am Abend, wenn die Sonne untergeht, von weither rot strahlt. Spektakuläres hat der Berg auch Sportlern und Fans zu bieten: Beim „Erzbergrodeo“ röhren die Motoren und es jagen alljährlich waghalsige Motocross-Piloten den Berg hinauf; und bei manchen Bewerben der „Erzberg-Adventure- Days“ wird es im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend: Beim Erzberglauf, beim AT&S Vertical Iron Sprint mit einer Steigung von bis zu 97 Prozent oder beim spektakulären Dirtrun kann man so viel schwitzen, wie man will. Und jetzt haben wir nur an der Oberfläche gekratzt. Das Innenleben Seine Stollen haben es in sich: Zum einen gibt es hier ein Schaubergwerk, das ermöglicht, in den Berg einzufahren. Hier können Sie das Labyrinth des Erzberges erkunden und lernen die untertägige Arbeitswelt der Knappen kennen. Sie erfahren die Entstehungsgeschichte des Erzberges, erleben die Wassermann-Sage über die Auffindung des Berges und eine audiovisuell inszenierte Sprengung. Und selbst kulinarisch hat der Berg etwas zu bieten: 100 Tonnen Kräuterseitlinge gedeihen jährlich in den Stollen. Möglich machen das 90 Prozent Luftfeuchtigkeit und konstante Temperaturen. Die „Erzberg Stollenpilze“ können über Supermärkte gekauft oder in der Gastronomie genossen werden. Ja sogar der „Erzberg-Whisky“ reift in seinem Inneren.

Hightech für unsere Sicherheit

Aber warum enthält der Berg auch einen zweiröhrigen Straßentunnel und zwei parallel geführte Eisenbahntunnelröhren, die nirgendwo hinführen? Des Rätsels Lösung: Die Montanuniversität Leoben betreibt mit dem „Zentrum am Berg“ im Erzberg eine europaweit einzigartige und unabhängige Forschungsinfrastruktur rund um den Bau und Betrieb von Untertageanlagen. Forschungseinrichtungen, Unternehmen und Organisationen haben dort die Möglichkeit, unter realen Bedingungen Forschung, Versuche und Übungseinsätze für BetreiberInnen und NutzerInnen von Straßen- und Bahninfrastrukturen sowie zu aerodynamischen Fragestellungen, zur Sicherheit im Untertagebau und –betrieb und zu Materialentwicklungen durchzuführen. Neben den Bahn- und Straßentunnel gibt es auch einen Versuchsstollen, wodurch Forschung, Entwicklung, Ausbildung und Training unter realen Untertagebedingungen ermöglicht wird. Genutzt werden die Tunnel schwerpunktmäßig für das Training von Feuerwehren, Rettungskräften und anderen Einrichtungen für Notfälle in Tunnel.

Für immerdar

Man schätzt, dass die Erzreserven am Erzberg doch nicht für immer halten werden, wie es der Wassermann versprochen hat. Niemand weiß es genau, aber womöglich sind sie in etwa 35 Jahren erschöpft. Und doch hat der Wassermann sein Wort gehalten: Denn das Know-how, das dieses Land in all den Jahrhunderten gewonnen hat, über Erze, über deren Abbau und Verarbeitung; jenes Know-how, das schließlich zur Gründung der Montanuniversität, zur Gründung der TU in Graz, zur Bildung großer Technologie- und Industriebetriebe und kleiner, innovativer Weltmarktführer geführt hat, das Know-how, das unser Land zu einem Hightech-Land gemacht hat und für seinen Wohlstand sorgt, dieses Know-how wird bleiben. Und die Sage vom Wassermann damit auch: für immerdar.

DER BERG

Der 1.466 Meter hohe Berg wird auch „Steirischer Brotlaib“ genannt, da er die wirtschaftliche Entwicklung der Steiermark stark geprägt hat. Beurkundet ist, dass hier mindestens seit dem 11. Jahrhundert Eisenerz abgebaut wird, hauptsächlich Siderit. Es handelt sich dabei um den größten Eisenerztagebau Mitteleuropas und das größte Sideritvorkommen weltweit. Dem Erzberg verdanken wichtige österreichische Institutionen wie die Voestalpine mit ihren Stahlwerken in Linz und Leoben-Donawitz sowie die Montanuniversität Leoben ihre Existenz. Mit insgesamt 250 Mitarbeitern werden im etagenförmigen Tagebau jährlich etwa zwölf Millionen Tonnen Gestein gewonnen und zu drei Millionen Tonnen Feinerz verarbeitet, die in Linz und Leoben-Donawitz verarbeitet werden.